New York City Marathon 2015

1.11.2015

Factbox (Stand November 2015)

Homepage https://www.tcsnycmarathon.org/
Erste Austragung 1970
Teilnehmer 50.000, 205 Finisher aus Österreich (2015)
Termin Anfang November
Qualifikation Zeitlimit, Lotterie Einzelläufer oder Team, Charity, Reiseveranstalter
Anmeldezeitraum Jänner/Februar
Chancen bei Lotterie schwierig
Kontingent Reiseveranstalter groß (Stand 2015)
Kurs Point-to-Point von Staten Island durch alle 5 Bezirke von NYC in den Central Park, anspruchsvoll mit einigen Steigungen speziell bei den Brücken
Zeitnehmung in der Startnummer integriert
Marathon Expo geöffnet Donnerstag bis Samstag, groß aber eng, von den Sportartikelherstellern sind neben dem Hauptsponsor (asics, jetzt NB) nur wenige andere vertreten
Start Startzeit 9:50, 4  Wellen mit je 18 Corrals, die Wellen starten im Abstand von 25 min, die letzte Welle um 11:00, der letzte Starter benötigt ca. 5 min vom Start der Welle bis er die Startlinie passiert, man muss schon frühzeitig eine der vom Veranstalter angebotenen Transfers zum Start buchen (Busse oder Staten Island Ferry), bei Transport mit Bussen ist man spätestens um 7:00 beim Athlete Village, großzügiges Startgelände, verschiedene Verpflegung, wenige Zelte, wenige Umkleiden, lange Wartezeiten bis zum Start (bis zu 4h!)
Ziel beeindruckender Zieleinlauf in den Central Park, lange Wege zur Kleiderausgabe (Poncho ist die bessere Option), das Gelände ist großräumig abgesperrt, daher weite Wege bis zum Treffpunkt mit Freunden, Taxis oder U-Bahn
Zeitlimit unlimitiert
Verpflegung  Wasser, Iso, Gels, Bananen, Schwämme
Verpflegungsstationen ab Meile 3, jede Meile
Toiletten im Startbereich ausreichend, kurze Wartezeiten

go for your dream

Der NYC Marathon ist der Traum vieler Läufer. Zumindest, wenn man nicht prinzipielle Probleme mit solch großen Stadtmarathons oder der weiten Anreise hat. New York ist das Wimbledon der Langstreckenläufer. Es ist die Stadt New York, es ist die Atmosphäre, es ist die Größe, es ist die Herausforderung. Selbst läuferisch untätigen Menschen ist der NYC Marathon zumindest ein Begriff. Und langsam aber stetig reift dann der Entschluss, es jetzt tatsächlich machen zu wollen. Für mich ist es zwar erst der dritte Marathon, aber ich denke mir – besser jetzt, als nie! Und noch besser - ich laufe ihn gemeinsam mit meiner Frau!

 

Der Weg dorthin ist schwierig. Die Lotterie ist nur dann eine Option, wenn es egal ist, ob man nächstes Jahr oder in zehn Jahren läuft. Qualifikationszeit ist für mich aussichtslos. Der sicherste und in der Gesamtbetrachtung einfachste Weg, ist der über einen Reiseveranstalter – bei entsprechend rechtzeitiger Voranmeldung.

Sich ein Jahr im Voraus zumindest auf die Warteliste setzen zu lassen ist kein Fehler, man kann ja immer noch Nein sagen. Diesen Weg haben wir gewählt und sind mit runners unlimited unterwegs, gemeinsam mit mehr als 120 weiteren Läufern und deren Begleitern aus Österreich, unter der Leitung von Andy Perer und seinem Team.

 

Die Variante über Reisebüro ist speziell auch für Läufer, die noch nicht so Wettkampferfahren sind (so wie wir), empfehlenswert. NYC ist mit über 50.000 Startern nicht nur der weltweit größte Marathon, er ist auch von der Logistik her einer der am komplexesten. Da tut es gut, wenn einem einiges durch Profis abgenommen wird.



Vorbereitungen

Aber natürlich kann man sich auch alles selbst organisieren. Hat man einen Startplatz erhalten, ist da zuallererst natürlich Hotel und Flug zu buchen. Schon beim Hotel sollte man sich überlegen: Soll es nur möglichst günstig sein, also irgendwo in einem der der 5 Stadtteile von NYC und damit eventuell mit entsprechend komplizierter Anreise zu Start und Ziel? Oder doch Manhattan, teurer, aber zumindest mit besseren Transportmöglichkeiten? Ja und wenn

Manhattan, soll das Hotel eher in der Nähe des Ziels im Central Park liegen, eventuell sogar in Gehdistanz, oder doch eher bei den Abfahrtstellen für den Transfer zum Start? Und wie komme ich überhaupt zum Start? Der liegt ja auf einer Insel, Staten Island, und es gibt zwei offizielle, vom Veranstalter bereitgestellte, Möglichkeiten dort hin zu kommen - mit dem Bus oder mit der Fähre. Beide Optionen sind im Startgeld enthalten und kosten nichts extra. Für eine der beiden muss man sich aber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt entscheiden, ansonsten wird man eingeteilt. Theoretisch gibt es für NYC-Auskenner auch noch die Möglichkeit, mit einem öffentlichen Bus aus Brooklyn; oder man wohnt bereits auf Staten Island; oder man macht einen großen Umweg über die anderen Brücken aus New Jersey.

 

Entscheidet man sich für den Transport mit dem Bus, dann liegt die Abfahrt der Busse bei der New York Public Library, Sixth Avenue/W.42nd Street. Der Vorteil der Busse – sie bringen dich direkt zum Startgelände im Fort Wadsworth, gleich am Ende der Verrazano-Narrows Bridge. Der Nachteil – der letzte Bus geht um 6:30 morgens! Der Grund dafür ist einfach, die Verrazano-Narrows Bridge ist die einzige Straßenverbindung von Brooklyn nach Staten Island, an der wird einige Stunden später auch gestartet und über die laufen wir wieder zurück. Die Brücke wird daher ab 7:00 gesperrt, der letzte Bus muss dann schon auf der richtigen Seite sein. Das bedeutet natürlich auch, man ist spätestens um 7:00 im Startbereich und muss sich dort bei jedem Wetter die Zeit bis zum Start vertreiben. Das sind, je nach Startwelle, 3-4 Stunden.

 

Die Alternative ist die Staten Island Ferry. Ihr Vorteil – sie fährt auch zu späteren Zeiten noch und man hat eine super Aussicht auf die früh-morgendliche Skyline von Manhattan sowie die Freiheitsstatue. Der Nachteil - sie ist, je später man hinkommt, ziemlich überfüllt und man muss mit langen Warteschlangen rechnen. Zudem muss man zum Fährterminal an die Südspitze Manhattans pilgern. Also wie auch immer man sich entscheidet, es ist auf jeden Fall mit mehr Aufwand verbunden, als mit der U-Bahn gemütlich zum Start des Vienna City Marathons zu fahren.

 

Bei einer Buchung über einen Reiseveranstalter bleibt einem diese Wahl, als auch die Buchung des Hotels oder des Fluges, erspart. Wir werden mit dem Bus zum Start transportiert und der Bus wartet direkt vor dem Hotel auf uns. Und das Hotel liegt in unserem Fall zwischen Times Square und Central Park, in Gehdistanz zum Ziel.

Eine weitere Entscheidung nimmt uns das Reisebüro aber nicht ab – Poncho oder Kleidersack? Für das Ziel werden vom Veranstalter zwei Optionen angeboten. Die klassische Variante mit Kleidersack, der am Start abgegeben wird und den man sich im Ziel dann wieder abholt. Oder die Variante mit einem Wetter-Poncho. Bei der kann man keinen Kleidersack abgeben, man bekommt überhaupt keinen im Startpaket, sondern erhält stattdessen im Ziel einen sehr guten, warm gefütterten und wetterfesten Poncho. Diese Option wird von immer mehr Läufern in Anspruch genommen. Er bietet sich speziell für jene Läufer an, deren Hotel halbwegs in der Nähe des Central Parks liegt. Hat man jedoch noch einen langen Weg mit Subway oder Bus vor sich, dann ist wohl die klassische Umziehvariante die bessere. Zu beachten ist aber auch, mit dem Poncho ist man am schnellsten und auf kürzestem Weg

wieder draußen aus dem Central Park. Während man mit dem Poncho auf Höhe W.77th Street den Park verlässt, muss man für die Kleidertrucks weiter hinauf in den Central Park marschieren und verlässt diesen erst auf Höhe W.81st oder W.85th Street, also ganze 8 Blocks mehr hinauf und wieder hinunter Richtung Columbus Circle.

Und noch eine Überlegung nimmt uns der Reiseveranstalter nicht ab – wie halte ich mich warm und trocken im Athlete‘s Village? Natürlich eine Überlegung, die ich vor jedem Lauf anstellen muss, aber hier noch verschärft durch die lange Wartezeit von 3-4 Stunden. Gleich vorab, es gibt ganz wenige Zelte in Fort Wadsworth und selbst diese werden bei starkem Wind abgebaut. Nehme ich mir daher altes Gewand bereits von zu Hause mit, oder kaufe ich mir in NYC bei

einem Straßenhändler einen billigen Sweater und Hose? Ich habe mich für eine Kombination aus den beiden Lösungen entschieden – eine alte Laufhose und Jacke im Gepäck, einen fetten Sweater vom Straßenhändler um 12$ in Manhattan. Je nach Wetterprognose sind ja durchaus mehrere Schichten angebracht, die man nach aktueller Wetterprognose Vorort noch schnell zukaufen kann. Das Gewand kann dann natürlich vor dem Start abgegeben werden und wird für karitative Zwecke verwendet.



Willkommen in NYC

Es ist also viel zu überlegen und zu planen, bevor man noch einen Fuß in die Stadt gesetzt hat. In eine Stadt, die durch ihre Größe und Dynamik auch so schon überwältigend ist. Aber am Donnerstag vor dem Marathon ist es endlich so weit, unsere große Gruppe landet auf dem JFK Airport und bezieht das Hotel in Manhattan.

 

Und schon im Bus sehen wir eine Stadt, die sich voll im Marathon Modus befindet. Man hat vom ersten Moment an das Gefühl, als Held empfangen zu werden. Die Menschen freuen sich aufrichtig, dass du in ihre Stadt kommst um „ihren Marathon“ zu laufen. Jedes zweite Schaufenster begrüßt die Läufer, Verkäufer wünschen dir Erfolg und alle sind stolz auf „New York’s biggest Block Party“, die da am Sonntag stattfinden wird.

 

Der erste Höhepunkt findet bereits am Freitagabend statt. Die Eröffnungszeremonie im Zieleinlauf des Marathons, die sogenannte Parade of the Nations. Alle teilnehmenden Länder ziehen da mit ihren Fahnen ein, fast so wie bei Olympischen Spielen, mit Feuerwerk zum Abschluss. Auch wenn man selbst vielleicht solchen Shows skeptisch gegenübersteht, so empfehle ich in diesem Fall trotzdem einen Versuch zu wagen, es ist es wert!

 

Für unsere Gruppe hat Andy Perer nach der Eröffnung noch eine besondere Überraschung parat – einen Empfang im Österreichischen Konsulat! Bekocht mit wärmender Gulaschsuppe, an einem Ort, an den wir normalerweise nie hingekommen wären, haben wir so die Möglichkeit, zwanglos mit der derzeitigen Konsulin zu tratschen und ihre besten Wünsche zum Rennen entgegen zu nehmen – Selfie inklusive.



Spirit

copyright abc7NY
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Und inmitten von all dem Trubel findet man dann auch den Race Director des Marathons, Peter Ciaccia, der große Blonde - einmal gesehen, leicht wiederzuerkennen. Er bildet das Zentrum, das Herz dieses Marathons, immer präsent und immer voller Feuer. Sei es heute als Moderator der Zeremonie, beim Abklatschen der Läufer, am Sonntag an der Startlinie, als auch dann bis tief in die Nacht an der Ziellinie. Er lässt es sich nicht nehmen, auch noch den letzten Finisher persönlich zu begrüßen. New York rühmt sich seiner hohen Finisherquote. Die liegt nicht nur an der frenetischen Unterstützung der Zuschauer am Streckenrand, sondern auch an der langen Öffnungszeit des Zieleinlaufes. Denn obwohl das Rennen sowieso erst um 19:30 (!) offiziell zu Ende ist, die Uhr gestoppt wird, die Verpflegungsstationen abgebaut sind und die Strecke wieder für den Verkehr freigegeben wird, gibt es immer noch Läufer, die auf den Gehsteigen in Richtung Ziel unterwegs sind und dort auch in Empfang genommen werden! Wenn sie auch nicht in den offiziellen Ergebnislisten aufscheinen werden, sie haben es geschafft! Und eine Medaille erhalten auch sie. Peter Ciaccia, gemeinsam mit einer Schar von Menschen, warten auch auf den letzten der Läufer und begleiten ihn ins Ziel, wie dieses kurze Video auf schöne Weise zeigt. 2013 hat der letzte Läufer um 22:30 die Ziellinie überquert!

 

Es ist dieser Spirit, diese Liebe zum Underdog und Normalo-Läufer, der uns die ganzen Tage in der Stadt begleitet und durch das Rennen am Sonntag trägt. Es ist dies das Gefühl, welches wohl am besten die Stimmung und die Atmosphäre rund um den NYC Marathon beschreibt, man fühlt sich willkommen und geschätzt. Man fühlt sich als Held dieser Tage - selbst wenn man als Final Finisher die Ziellinie überquert.



getting ready

Natürlich gibt es kein Rennen ohne Startnummer. Die Marathonmesse ist perfekt organisiert, zumindest was die Abholung der Startunterlagen betrifft. Die Schlange vor dem Eingang zur Messe kann natürlich lang werden, aber nachdem sich alles in den Hallen abspielt, ist das nicht wirklich ein Problem. Die Volunteers sind superfreundlich und hilfsbereit. Auf keinen Fall aber sollte man seinen Reisepass oder Personalausweis vergessen, ohne den gibt es keine Startnummer. Gleich nach den Startunterlagen kann man sich auch das Participant-Shirt abholen.

 

Die Messe ist sehr groß, wird aber natürlich dominiert vom jeweiligen Hauptsponsor, in unserem Fall Asics. Aber nachdem es in Manhattan nahezu an jeder Ecke eine Sportartikelgeschäft gibt, kriegt man sehr leicht auch von allen anderen Marken beliebige Ausrüstung in Hülle und Fülle, zu gleichen Preisen wie auf der Messe. Also keine Angst, auf seinem Geld bleibt man in NY nicht sitzen!

 

Der Zieleinlauf ist die ganzen Tage über öffentlich zugänglich, ausgenommen der unmittelbare Bereich um die Ziellinie. Daher kann man seinen Lockerungslauf am Samstag vor dem Marathon dazu nutzen, einmal dorthin zu laufen und schon mal die Atmosphäre für den Sonntag vorzukosten. Da merkt man auch gleich, wie sich die letzten 300 m anfühlen werden. Hier gibt es nämlich gemeinerweise nochmals einen Anstieg zu überwinden. Jetzt so locker ist das kein Problem, mal sehen, wie es am Sonntag werden wird.

Und es lohnt sich auch ein Besuch des Marathon Pavillons, ein Stück hinter dem Ziel. Es gibt hier natürlich eine Menge an Merchandising zu erstehen und am Samstagabend findet im Pavillon die offizielle Pasta Party statt. Es gibt Pasta in verschiedenen Varianten. Alle sehr lecker und in netter Atmosphäre kann man hier, in den letzten Stunden vor dem großen Lauf, seine Nervosität etwas vergessen. Schon beim Anstellen am Buffet gratulieren dir die Helfer, freuen sich, dass du es bis hierher geschafft hast (!), wünschen dir Glück, klopfen dir auf die Schultern, schütteln dir die Hände und sind einfach nur ansteckend freundlich.

 

Und dann ist sie endlich da, die letzte Nacht vor dem NYC Marathon! Die Uhren stellen wir noch vor dem Einschlafen um eine Stunde zurück (in Amerika wird an diesem Wochenende auf Normalzeit umgestellt), schlafen werden wir aber sowieso nur unruhig und wenig. Das ist aber egal, nichts kann uns jetzt mehr stoppen!



Fort Wadsworth

Marathon Sonntag! Früh, sehr früh, läutet der Wecker. Von Schlaf war jetzt aber ohnehin nicht mehr viel zu merken, immerhin ist es nach unserer Heimatzeit schon sechs Stunden später. Unser Bus fährt um 6:00 vor dem Hotel ab. Natürlich haben wir alle unsere Ausrüstung und Utensilien schon am Abend hergerichtet, zehnmal überprüft, ob wir ja nichts vergessen haben, eingeschmiert und abgeklebt was halt so einzuschmieren und abzukleben ist. Es ist nur mehr alles anzuziehen, mitzunehmen (im offiziellen Sackerl für das Athlete’s Village) und ein kurzes Frühstück einzuwerfen.

Die Nervosität ist jetzt merklich, es ist ja doch erst mein dritter Marathon, irgendwann einmal wird es ein wenig mehr Routine sein. Ganz ohne Anspannung wird es aber nie sein, schon gar nicht in NYC. Und das ist gut so, hilft den Fokus zu wahren, hilft Respekt gegenüber der Distanz zu bewahren. Einem Marathon gebührt immer Respekt, das hilft, gesund ins Ziel zukommen.

 

Im Bus herrscht eine angespannte Ruhe. Zeit, sich nochmals den Kurs und die nächsten Stunden durch den Kopf gehen zu lassen, während wir im Konvoi mit Polizeibegleitung durchs noch dunkle Manhattan in Richtung Staten Island fahren. Im Netz gibt es unzählige Laufberichte und gute Ratschläge für diesen Lauf zu finden, hier nur zwei davon (www.dirtyoldsneakers.com/2017-nyc-marathon-course-strategy/ und runningandthecity.com/2014/09/16/nycm/). Alle oft gelesen, aber jetzt am Morgen bleiben dann ja doch nur die wichtigsten Eckpunkte hängen. Ein klassischer point-to-point Kurs, der uns über fünf Brücken und durch alle fünf Boroughs von NYC führt. Gestartet wird in Staten Island, direkt auf der Rampe der Verrazano-Narrows Bridge. Dann geht es gerade hinauf nach Norden, durch Brooklyn, Queens, Manhattan bis in die Bronx und von dort wieder zurück in das Ziel im Central Park. Markanteste Punkte dazwischen sind die beiden großen Brücken, Verrazano-Narrows Bridge und die Queensboro Bridge, und die ewig lange First Avenue in Manhattan. Vom Höhenprofil ist der Kurs anspruchsvoll. Nicht nur die Brücken sind es, die uns Höhenmeter bescheren, auch zwischendurch ist es ein stetiges Auf-und-Ab. Der Kurs ist in Meilen beschildert, je 5k auch in Kilometer.

 

Um Punkt 7:00 sind wir dann tatsächlich im Fort Wadsworth. Das Gelände ist riesig und in 3 Bereiche eingeteilt, Blau, Orange und Grün, entsprechend der Startbereiche für die man zugeteilt wird. Die Farbe ist, genauso wie die Welle und der Corral, auf der Startnummer klar ersichtlich. Nach vor schummeln in eine frühere Startwelle oder ein vorderes Corral geht nicht, weiter hinten einreihen ist erlaubt.

Wir haben Startwelle 2 (also um 10:15), Grünen Startbereich (als auf der unteren Ebene der Brücke) und Corral F (also den letzten in der Welle). Wir machen es uns daher im grünen Teil des Athlete’s Village bequem. Möglichst hinter einer Absperrung, um ein wenig Schutz vor dem doch vorhandenen kühlen Wind zu haben. Jeder dieser Bereiche ist eine Welt für sich, vollständig ausgerüstet mit Toiletten, (wenigen) Zelten, Kleiderabgaben, Verpflegungsstationen und Sanitätern. Jetzt heißt es – Warten! Bei Regen, Kälte oder starkem Wind ist das sicher alles andere als lustig, heute aber ist es kein Problem.

 

Verkürzt wird die Warterei durch neue Bekanntschaften mit den Läufern, die neben dir sitzen oder liegen, unterbrochen durch gelegentliche Inspektionen der Toiletten, die es zur Genüge gibt, oder die Organisation von Bagels und Kaffee. Jeder hat sich den Wetterprognosen angepasst und verschiedene Schichten alter Trainingsklamotten an, was dem Ganzen einen Hauch von "Mutter Courage und ihre Kinder" verleiht.

Die echten Spezialisten haben sogar dünne Unterlagsmatten oder ähnliches mit. Diese darf man sogar offiziell mitbringen, so wie dünne Yoga Matten, Decken oder alte Winterjacken. Verboten sind hingegen Campingausrüstungen, Zelte, Schlafsäcke oder ähnliches (Camelbaks sind übrigens zum Lauf auch nicht zugelassen). Ich organisiere uns bei einer der Verpflegungsstellen leere Kartons und verwende diese dann als Sitzunterlage, funktioniert auch.

 

Hauben bräuchte man keine mitbringen, die erhält man dort gratis von Dunkin‘ Donuts! Die Hauben, in ihrer markant psychedelischen Farbgebung, sind sehr warm und inzwischen genauso Kult wie der Marathon selbst. Ich stecke meine dann beim Laufen ein und nehme sie mit nach Hause, als Andenken. Die Szenerie hat einen Hauch von Woodstock – nur haben die Menschen hier mehr Kleidung am Körper und kommen offensichtlich auch ohne Halluzinogene über die Runden, mal von den DD Hauben abgesehen.

 

Die Zeit vergeht dann doch schneller als ursprünglich befürchtet. Das liegt auch daran, dass die Coralls schon sehr früh schließen. Spätestens 40 Minuten vor dem Start muss man in seinem entsprechenden Bereich sein, sonst heißt es, bei der nächsten Welle anstellen! Da wir uns für die Poncho Option entschieden haben, müssen wir auch keinen Kleidersack abgeben. Einen Teil unserer Oberbekleidung geben wir schon vor den Coralls ab, den Rest behalten wir noch bis vor den Start an. Diese legen wir dann kurz vor der Startlinie an den Straßenrand, sie werden später eingesammelt. In den Coralls selbst gibt es auch noch Toiletten, aber nur wenige. Kein Grund zur Panik!

 



Der New York City Marathon

Die Verrazano-Narrows Bridge hat zwei Ebenen, beide werden für den Start und die Überquerung der Brücke genutzt. Nach der Brücke teilt sich das Feld und trifft sich erst wieder nach Meile 3. Die Startbereiche Blau und Orange laufen auf der Oberseite der Brücke, der mit der besseren Aussicht! Grün läuft am Unterdeck.

Mit dem Unterdeck verbindet sich auch eine alte Läuferlegende, die sicher viele vor dem Lauf gehört haben. Die Legende besagt, dass man auf der unteren Ebene der Brücke irgendwann in den Genuss eines goldenen Regens kommt, verursacht durch die sich erleichternden Läufer auf dem Oberdeck. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, diese Legende ist ………

 

Die ersten zwei Meilen führen über die Brücke und man hat damit gleich am Anfang den größten Hügel vor sich. 50 Höhenmeter sind es, die man auf nicht ganz einer Meile bis zum Scheitelpunkt der Brücke zurücklegt, gleichzeitig auch der höchste Punkt der Strecke.

 

In der Euphorie des Starts merkt man aber fast nichts von diesem Anstieg, es hilft sogar sich einzubremsen und nicht zu schnell loszulaufen. Auf der Brücke ist es ruhig, keine Zuschauer sind hierzugelassen. Man hat Zeit, die Aussicht auf Manhattan in der Ferne zu genießen, und stellt mit Schrecken fest, wie weit es bis dorthin ist! Mit etwas Glück sieht man unter sich die Feuerwehrboote mit ihren Wasserfontänen, um sich herum ist man eingebettet in das Meer an Läufern. Man hat Gelegenheit, sich in seinem Rhythmus einzufinden und in den Körper zuhören, wie es ihm denn so geht?

 

Super geht es ihm, er darf NYC laufen!

 

Ich laufe natürlich gemeinsam mit meiner Frau, so macht das Abenteuer doppelt Spaß! Der Weg ist das Ziel, der Genuss dieser einmaligen Atmosphäre. Und diese beginnt, sobald man die Brücke überquert hat und in Brooklyn angekommen ist.

Die Stimmung ist ab diesem Moment unbeschreiblich. Mit Ausnahme der großen Brücken stehen die Menschen von Meile 3 bis ins Ziel am Straßenrand und feuern mit einem Höllenlärm die Läufer an. Sie stehen da stundenlang, um wildfremden Menschen mit Schildern, Zurufen, Musik und allem was Lärm macht Motivation und Anfeuerung zu geben.

 

Besonders lieben die Amerikaner es, wenn sie dich identifizieren können. Daher habe wir unseren Namen und die Nation auf das Shirt gedruckt. So wirst du dann tatsächlich mit deinem Namen angefeuert, wobei selbst der klare Aufdruck von „Austria“ es nicht verhindert, dass man mit einem „Go Australia“ konfrontiert wird. Nach dem dritten Mal verzichtet man darauf, es zu korrigieren, und freut sich trotzdem. Besonders putzig ist es natürlich, wenn du bei Meile 3 bereits ein „You look great Herbert!“ hörst. Wenn ich nach drei Meilen nicht mehr gut ausschaue, sollte ich es wahrscheinlich bleiben lassen!

 

Was mich besonders beeindruckt ist die Vielzahl an Läufern mit verschiedensten körperlichen Behinderungen. Einen Mann zu überholen, der auf zwei Krücken die 42,2km bewältigt, lehrt Demut und Hochachtung!

 

Ich fühle mich in meinem Verdacht bestätigt, für die New Yorker sind wir Underdogs die echten Helden. Sie bewundern die Top Elite Läufer, aber sie lieben den Typen von Nebenan, der versucht, mit Disziplin und Zielstrebigkeit etwas für ihn Außergewöhnliches zu erreichen. Unterstrichen wird dieser Eindruck von den erfrischend freundlichen Helfern an den Verpflegungsstationen. Die Stationen gibt es ab Meile 3 an jeder Meile, ein echter Luxus, immer mit Wasser und Iso bestückt.

 

Bei Meile 10 wird es plötzlich auffallend ruhig am Straßenrand. Wir erreichen South Williamsburg, das Viertel der orthodoxen Juden. Für diese ist heute ein normaler Arbeitstag, der Marathon ist ihnen suspekt, auch die leichte Bekleidung der Läufer. Manche zeigen ihren Protest, indem sie provokant durch die Menge die Straße überqueren. Uns stört es aber nicht, im Gegenteil, ein wenig Ruhe tut gut, nach dem vielem Abklatschen und Zurufen auf den ersten Meilen. Die Ekstase am Straßenrand lässt sowieso nicht lange auf sich warten und setzt mit voller Vehemenz bald wieder ein.

 

An der Grenze zu Queens, auf der Pulaski Bridge, erreichen wir die Halbmarathonmarke. Bis hierher hatten wir eigentlich keine ebene Strecke, es ging immer wieder leicht auf und ab. Der Zustand der Straßen erfordert zudem eine immer präsente Wachsamkeit. Die Randsteine sind hier generell sehr hoch, die Schlaglöcher sehr tief und die Unebenheiten oft überraschend. Ein blöder Schritt kann das DNF bedeuten. Auch die Pulaski Bridge macht sich mit einem Hügel bemerkbar, der aber dann bald durch einen noch höheren Anstieg auf die Queensboro Bridge übertroffen wird. Im Gegensatz zum Start spüren wir diesmal die Steigung deutlich. Der Kurs hat es in sich.

 

Die Überquerung der Queensboro Bridge ist für mich einer der schönsten Momente des ganzen Laufes. Nach all dem Lärm und der lauten Musik davor, ganz plötzlich Ruhe! Man hört nur das Atmen der Läufer, den Gleichklang der Schritte auf dem Belag der Brücke, unter uns der East River, direkt vor uns die beeindruckende Skyline von Manhattan. Ruhe, um den Fokus wieder zu finden, zu hören, was der Körper, jetzt nach 25 km, so von sich gibt, wie es ihm geht, was er von dir für das, was noch kommt, braucht. Ruhe, um hier jetzt tatsächlich erstmals das Ziel im Central Park zu visualisieren. Das Ziel, dem man sich schon um mehr als die Hälfte genähert hat. Momente der Erdung, des Einklangs mit dem Jetzt, mit den Läufern um uns herum, mit diesem unglaublichen Ort.

 

Die Ruhe währt nur kurz, denn sobald man Manhattan erreicht und nach einer weiten Linkskurve auf der First Avenue die Brücke untertunnelt, bricht die Wall of Sound über uns herein. Nahezu endlos liegt die First Avenue vor uns ausgebreitet, links und rechts dicht bepackt mit Menschen, die jubeln, schreien, Schilder hochhalten, Musik machen. Hier wartet auch Andy Perer mit vielen der Begleiter, um uns für die letzten neun Meilen Energie zu geben. Wir brauchen sie. Die First Avenue will kein Ende nehmen, gefühlt geht es nur bergauf, und ohne die Anfeuerung der Zuschauer wäre es hier viel schwerer. Denn jetzt laufen wir weg vom Ziel. Mehr als drei Meilen zieht sich das gerade Band, bis wir endlich über die vierte Brücke die Bronx erreichen und damit die Kehre, zurück in Richtung Central Park, über die fünfte und letzte Brücke auf die Fifth Avenue.

 

Das Drama mit der Fifth Avenue ist – auch sie läuft, gefühlt, nur bergauf. Aber auch real tut sie das. Meile 24 schenkt uns eine garstige Steigung, viele gehen hier, manche sitzen schon am Straßenrand und lassen sich massieren.

 

Die Steigung endet, wenn man dann endlich rechts in den Central Park einbiegt. Man kann das Ziel förmlich schon riechen, obwohl es noch 2 Meilen sind. Genießen lautet jetzt die Devise, alle Eindrücke des Parks aufnehmen! Das der Park hügelig ist, brauche ich wohl nicht mehr zu erwähnen.

 

An der Südspitze verlässt man ihn wieder, die 500 Meter auf der Central Park South sind gesäumt von einem Meer an Menschen, beim Columbus Circle geht es wieder in den Park hinein, zu jenem Ziel, von dem man so lange geträumt hat.

 

Die Steigung vor dem Ziel merkt man nicht mehr, die Euphorie ist zu groß. Das Überlaufen der ersehnten Ziellinie, Hand in Hand, ist unbeschreiblich.

Im Ziel dann gleich die wohlverdiente Medaille! Ansonsten die Möglichkeit für Fotos, Wärmefolie, Getränke. Wir sind froh, uns für die Poncho Option entschieden zu haben. Damit müssen wir nicht so weit gehen, bis wir aus dem Park draußen sind. Hier gibt es ja auch sonst nicht viel, alle Wiesen sind abgesperrt, man kann sich nur innerhalb der engen, abgegrenzten Wege bewegen. Die Treffpunkte mit Freunden sind erst in der Nähe des Columbus Circle, ein Fußmarsch von einer Meile. Bis dorthin ist das Gelände großräumig abgesperrt, es gibt keine Möglichkeit für ein gemütliches Bier mit Freunden hier direkt im Park. Das finde ich etwas schade, hier werden die Möglichkeiten des riesigen Geländes bei weitem nicht genutzt.

 

Die Ponchos gibt es dann draußen an der Central Park West, zum letzten Mal von freundlichen Helfern um die Schulter gelegt. Ein eindrucksvolles Bild. Wie eine lange Kolonne von Pilgern wandern die Läufer ganz langsam, ruhig, müde und glücklich in Richtung Columbus Circle – um dort wieder vom normalen Leben in Empfang genommen zu werden.


Es ist der Marathon Monday. Mit etwas steifen Schritten stapfen wir die Central Park West hinauf, um unsere Medaillen im Marathon Pavillon gravieren zu lassen. Zumindest ist das der Plan, den wir aber sofort wieder verwerfen, als wir die lange Schlange vorm Eingang zum Park sehen. Wartezeit geschätzte zwei Stunden um überhaupt in den Pavillon zu kommen. Also wieder zurück in Richtung Columbus Circle, natürlich ganz stolz, mit unseren Medaillen um den Hals – so wie jeder andere Läufer heute auch. Da begegnet uns eine Lehrerin mit ihrer Volksschulklasse, scheinbar auf Exkursion in den Central Park. Als sie uns mit den Medaillen erkennt, hält sie die Klasse an und erklärt den Kindern: „Look kids, these are the heroes who ran the marathon yesterday!“  Ja, inzwischen glauben wir es auch selbst - Wir sind Helden!

 

NYC war mein dritter Marathon, der erste der Abbott World Marathon Majors.

Mein Lauf ist auf Garmin Connect einsehbar.

 

Alles Liebe, ich lauf schon mal voraus!

Herbert

Nachtrag 2018: Am 4. November 2018 wird Peter Ciaccia zum letzten Mal als Race Director den NYC Marathon leiten. Dann begibt er sich in den Ruhestand. Er wird fehlen, seine Energie und sein Feuer haben diesen Lauf über viele Jahre getragen und verändert. Seine Leidenschaft war in allem spürbar.